Mittwoch, 17. November 2010

Die gefährlichste Straße der Welt

Auf 4700 Metern Höhe geht es los.
In La Paz gibt es allerlei wunderliche Freizeitbeschäftigungen für Touristen. Da gibt es etwa das Cholita-Wrestling. Cholitas nennt man die bolivianischen Frauen mit den traditionellen langen Zöpfen und den aparten Hüten. Die sonntäglichen Schaukämpfe im Stadion - natürlich wird kräftig an den Haaren gezogen - erfreuen sich bei Einheimischen wie bei Zugereisten großer Beliebtheit (http://www.nationalgeographic.de/reportagen/topthemen/2008/keiner-kaempft-wie-die-cholitas).

Oder lieber ein Besuch im Knast? Auch der ist bei Travellern schwer angesagt. Das "Eintrittsgeld" geht an einen der Gefangenen, der einen dafür als Angehörigen ausgibt, ins Gefängnis einlädt - und dort eine Führung veranstaltet. Klingt unglaublich, ist aber wahr (http://www.plattfuss.org/blog/2002/san-pedro-la-paz)!

Rene rollt
Ganz oben auf der Liste absonderlichen Tuns steht auch die angeblich gefährlichste Straße der Welt. Auf jeden Fall dürfte es nicht viele Straßen auf dieser Welt geben, die einen größeren Höhenunterschied überwinden: Von 4700 Metern geht es runter bis auf 1200. Die Fahrbahn, an manchen Stellen nur 3,20 Meter breit, ist teilweise in extrem steile Berghänge gebaut. Seit 1998 bietet die Agentur Gravity (steht für "Gravity Assisted Mountain Biking") Fahrradtouren auf dieser Strecke an. Und damit auch viele Touristen buchen, ist es eben die gefährlichste Straße der Welt - egal ob es irgendwo in Nepal eine gefährlichere oder engere gibt.

Wonach sollte man die Gefährlichkeit auch bemessen? In La Paz jedenfalls führt man diverse Todesopfer ins Feld. Genüsslich erzählen die Tourguides, an welcher Stelle ein Radfahrer aus Versehen zur falschen Seite abgestiegen ist oder vor welcher Kurve ein anderer die Vorderbremse zu stark beansprucht hat... Gott hab' sie seelig!

Und ja, ich habe es mitgemacht. Nach dem Vulcano Boarding in Nicaragua war mir mal wieder nach einer Herausforderung. Und da ich für Elends-Tourismus nichts übrig habe, habe ich die Sache mit dem Knast sein lassen.

Morgens um halb acht fahren wir los, 13 zahlende Touristen (um je 75 Euro erleichtert) werden per Bus auf den nahe gelegenen La Cumbre-Pass gebracht. Dort, in 4700 Metern Höhe, bekommen wir die Ausrüstung. Helm, Ganzkörper-Anzug (gegen die Kälte), Handschuhe - und natürlich die Räder. Alles ist in gutem Zustand.

Dann geht's los. Bei idealem Wetter (trocken, sonnig) starten wir in den ersten Abschnitt. Der ist einfach zu fahren, weil die Straße asphaltiert und relativ breit ist. Störend sind nur die langsamen LKWs, die wir überholen müssen. Ja, es geht recht zügig runter, wobei ich im Vergleich eher zu den Langsameren gehöre.

Auf der Asphaltstraße müssen wir Lkws überholen.
Alle paar Kilometer machen wir eine Pause, dann wird gewartet bis alle beisammen sind. Das freilich dauert zunächst ziemlich lange: Eine japanische Journalistin will die Landschaft genießen und bremst sich gemütlich die Straße herunter. Das bringt ihr den Unmut der wartenden Traveller ein. Die haben nix mit Sightseeing am Hut. Wer die gefährlichste Straße der Welt runterrast, will Extremerfahrung - und keine Landschaftimpressionen. Das wird der Journalistin auch rasch deutlich gemacht. Die zickt zwar erst ein wenig rum, fügt sich schließlich aber dem Gruppenzwang.

Dann geht's zügig weiter - in den Regen. Nicht etwa, weil es sich zuzieht, sondern weil wir von oben in die Regenwolken hinein rollen. Das ist ziemlich unangenehm, weil die Anzüge nicht wasserdicht sind. Die anfangs gute Laune sinkt schnell. Und dann liegen auch noch acht Kilometer aufwärts radeln vor uns, bevor es nur noch bergab geht. Zwei Holländer, wer sonst, sind die Einzigen, die sich das jetzt zutrauen. Der Rest der Gruppe nimmt das Angebot an, sich mit dem Bus rüberfahren zu lassen. Das T-Shirt "I survived the death road" gibt es trotzdem für jeden. Versichert der Tour-Leiter, ein junger blondgelockter Australier.

Die Fahrbahn ist nur gut drei Meter breit.
Also Bus. Vielleicht eine Viertelstunde später stehen wir am Anfang der echten "Death Road". Die ist nämlich nicht asphaltiert, sondern besteht nur aus Schotter. Und wird von Autos zum Glück kaum noch benutzt, seit es eine asphaltierte Umgehungsstraße gibt. Der Fahrweg jedoch ist tatsächlich kaum mehr als drei Meter breit - und jenseits des Abhangs geht es steil runter. Das aber sehen wir zum Glück nicht. Wir sind noch in den Wolken und neben dem Weg ist es einfach nur weiß. Wie schön, das verschont mich von Schwindelgefühlen.

Dennoch fahre ich nicht sonderlich schnell. Um ehrlich zu sein: Ich bin bekennender Starkbremser. Auf nassem Schotter mag ich einfach nicht rasen. Weshalb ich mich am Ende des Feldes etabliere.

Und so geht es weiter hinunter, Etappe für Etappe. Wir rollen unten aus den Wolken heraus, erreichen die Vegetationsgrenze - und mit der Zeit wird es auch wärmer. Wir legen Klamotten ab, in den Tourwagen, der uns folgt.

Der Nebel verbirgt gnädig den Abhang.
Je weiter wir herunterrollen, desto trockener und sonniger wird das Wetter. Umso weniger steil sind die Abhänge. Jetzt macht es sogar fast schon Spaß. Nach gut fünf Stunden und 3500 Höhenmetern ist das Ziel erreicht. Alle sind heil im Tal angekommen, niemand ist gestürzt. Alle sind stolz. Doch der Schrecken holt uns wieder ein: Bei der Rückfahrt mit dem Bus über die selbe Straße. Oben angekommen verdeckt keine gütige weiße Wolke die extrem steilen Abhänge. Meine Sitznachbarin stöhnt ein ums andere Mal auf, wenn es mal wieder so aussieht, als würde der Bus die Kurve nicht kriegen.

Ja, die "Death road" bringt den Kick. Aber als bekennender Warmduscher und Starkbremser wäre mir eine gemütliche Sightseeing-Tour lieber gewesen. Ich kann auch ohne Kick...

PS: Ich hätte es nie für möglich gehalten, aber nach einem halben Jahr unterwegs habe ich einen Heißhunger auf deutsche Küche entwickelt. In La Paz war ich in einem deutschen Restaurant und konnte mich eine Viertelstunde nicht zwischen Grünkohl mit Mettwurst, Gulasch und Kasseler mit Sauerkraut entscheiden. Letzteres ist es dann geworden. Hm...

1 Kommentar:

  1. You survivied Rene! Mein Glückwunsch zum bestehen und nun kannst mit Stolz das T-Shirt auch tragen.
    Ich mag deine Berichte und freue mich schon weitere Erlebnisse und wenn es die gleichen sind wie meine, dann ist interessant zu lesen wie man anders die Sichten sein können.

    Augen auf und gruß aus Buenos Aires!

    Jenson

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