Montag, 6. September 2010

Hauptstadt ohne Herz

Es gibt viele gute Gründe, Guatemala-City nicht zu besuchen. Einer ist die hohe Kriminalitätsrate. Schon alleine wegen ihr machen die meisten Touristen einen großen Bogen um die Stadt. Wer trotzdem hinein muss, etwa weil er von hier abfliegt, quartiert sich in einem Hotel nahe des Flughafens ein (bezeichnenderweise befinden sich die meisten Herbergen dort) - hinter hohen Mauern und viel Stracheldraht.

Mein Plan, sich die Hauptstadt trotzdem
anzuschauen, eben weil es die Hauptstadt ist, stößt bei anderen Travellern auf Unverständnis. Mir ist das egal, ich folge einer Empfehlung und niste mich in einem kleinen Hotel im Centro Historico ein. Den ersten Abend wage ich keinen Schritt vor die Tür. Am nächsten Morgen aber gehe ich auf Erkundungstour. Es heißt, tagsüber sei die Innenstadt zumindest in den belebten Straßen einigermaßen sicher. Wenn man zu Fuß geht. Vor dem Benutzen der öffentlichen Busse wird sogar auf der Homepage des Auswärtigen Amtes gewarnt.

Was ich zu sehen bekomme, erschreckt mich einigermaßen. Die City ist in einem heruntergekommenen Zustand wie osteuropäische Städte 1989. Die historischen Häuser sind großenteils abruchreif. Zum Teil stehen nur noch die Außenmauern, die Flächen dahinter wurden für Parkplätze planiert. Die neueren Gebäude sind - bis auf wenige Ausnahmen - in kaum besserem Zustand. Grau und marode - aber vergittert und mit Stacheldraht versehen. Und zwar komplett, selbst wenn sich Geschäfte darin befinden. Ob Bäckerei, Drogerie, Kiosk oder Wäscherei, alle Läden sind vergittert. Waren- und Geldaustausch werden durch Luken erledigt.

Sogar der zentrale Platz macht einen trostlo
sen Eindruck. Optisch beherrscht wird er neben der obligatorischen Kathedrale vom Palacio Nacional (Foto oben). Einem Gebäude, dessen Baustil bei Fertigstellung 1943 schon seit Jahrzehnten überholt war - anscheindend das Werk eines übergeschnappten Diktators. Auf der Plaza selbst ist nicht viel los, viel Platz für die vielen Tauben.

Dabei ist es nicht so, dass es in Guatemala-City gar kein Geld gäbe. Doch die Vergnügungs-Viertel und Einkaufszentren und Kinopaläste (mit Luxus-Sälen, wo man Filme in der Horizontalen sieht und sich das Sushi an den Platz bringen lässt) befinden sich alle außerhalb
des Zentrums. Es scheint, als habe die Metropole ihr Herz vergessen. Jedenfalls behandelt sie es stiefmütterlich. Das zeigt allein schon die Tatsache, dass die Haupteinflugschneise quer über die Innenstadt verläuft. Das sollte sich mal in Europa jemand einfallen lassen...

Andere Touristen sind erwartungsgemaß nicht zu sehen. Entsprechend viele Blicke ziehe ich auf mich. Der Höhepunkt
ereignet sich abends in einem Club. Ich gehe eine Treppe hinauf, dort stehen ein halbes Dutzend Menschen, munter palierend. Als sie mich gewahr werden, erstirbt das Gespräch schlagartig. Sechs Augenpaare stieren mich an als wäre ich Jesus höchstselbst. Einer versucht mir die allgemeine Verwunderung später damit zu erklären, dass ich zum Erstaunen aller "gewaschen und gut gekleidet" sei. In der Regel seien nämlich die einzigen Touristen, die sich in die Stadt trauten, Hippies...

Und trotzdem: Zwischen all de
m Dreck der Autos (manche Busse scheinen Spirtus zu verbrennen) und den heruntergekommenen Häusern gibt es auch Oasen. So wie das kleine Museum für Musikautomaten, das sich in einem sanierten Kolonialgebäude mit sattgrünem Garten befindet (Foto links: Direktor German Rodriguez). Ich habe viele ausgesprochene Menschen kennengelernt. Und am Wochenende blüht selbst die Plaza Central auf. Es gibt Musik, die Menschen tanzen. Doch, sogar Guatemala-City hat auch ein freundliches Gesicht.

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