Donnerstag, 7. April 2011

Im Würgegriff

Über Jahrhunderte die Sommer-Residenz der Dalai Lamas: der Potala-Palast in Lhasa.
In schwarz-weiß ist die Welt einfacher. Auch in Tibet. Hier die unterdrückten Einheimischen, deren Kultur unter dem übermächtigem chinesischem Einfluss zu schwinden droht. Dort die üblen Besatzer, denen jedes Mittel recht ist, die abtrünnige Provinz im Würgegriff zu behalten. Eine schlicht-graue Theorie, die in meinen Augen jetzt Farbe bekommen hat. Das Bild sieht plötzlich anders aus.

Zum Beispiel die Szenerie im Jahre 2008. Zur Geschichte des Aufstandes gehört auch, dass das chinesische Militär nichts unternahm, solange die Proteste friedlich waren. Die Soldaten griffen erst ein, als ein Teil der Demonstranten gewalttätig wurden. Wobei jene nicht nur auf die Chinesen losgingen und einige auch massakrierten, sondern - da man schon mal dabei war - Mitglieder der muslimischen Minderheit gleich mit verprügelten. Das rechtfertigt nicht das harte Vorgehen der chinesischen Staatsmacht. Aber es gehört zur Wahrheit. Und die ist eben nie schwarz-weiß.

Die Folgen der erfolglosen Revolte vor drei Jahren sind bis heute spürbar. So stark, dass sie eine Zeitenwende markiert: davor und danach. Was im Danach vor allem auffällt, ist die massive Präsenz der chinesischen Staatsmacht. In der Innenstadt von Lhasa gibt es spätestens alle 100 Meter einen Polizei- oder Militärposten, manchmal auch alle 50 Meter. Jeweils fünf oder sechs Sicherheitskräfte tummeln sich dort. Wobei es die Polizei lässig angehen lässt. Man sitzt auf Hockern, schwatzt mit Passanten, lacht. Die Soldaten hingegen stehen stramm, jeder in eine andere Richtung stierend. Hin und wieder sind auch marschierende Trupps zu sehen - und Uniformierte auf Hausdächern. So richtig charmant ist das alles nicht. Nach Einbruch der Dunkelheit kontrollieren die Posten hin und wieder die Papiere ausgewählter Passanten. Lhasa im Würgegriff.




Auch auf mich hat man offenbar ein besonders wachsames Auge geworfen. Aus mir nicht ersichtlichen Gründen bekomme ich zwei Aufpasser an die Seite gestellt. Da ist mein offizieller Tour-Guide, der mich nach der spektakulären 30-Stunden-Zugfahrt vom Bahnhof abholt. Und dann ist da noch eine Frau, von der ich nicht weiß, weshalb sie dabei ist. Sie kommt aber auch nur beim offiziellen Sightseeing-Programm mit und verschwindet danach. Er hingegen begleitet mich auch abends. Er holt mich morgens vom Hotel ab und bringt mich abends wieder hin. Eigene Wege? Unmöglich.

Ich ahne, dass zumindest er meinen Namen gegoogelt hat. Drei Mal während meines Aufenthaltes spricht er davon, dass viele Tibet-Touristen einen falschen Beruf angeben, damit sie die Einreise-Genehmigung erhalten. Journalisten beispielsweise würden ja sonst nicht hereingelassen. Als er mich nach meinem Beruf fragt, erzähle ich etwas von Deutschlehrer für Ausländer. Worauf er etwas spitz bemerkt, im Antragsformular hätte ich ja wohl "Fabrikarbeiter" angegeben. Ich stelle mich dumm und reagiere nicht darauf.

Tatsächlich passiert auch nichts weiter, die Situation entspannt sich eher. Der Tourguide - ein Tibeter - ist eigentlich ganz nett, ich habe nicht den Eindruck, dass er mir etwas will. Er lässt mich irgendwann dann auch abends alleine losziehen. Auch die ominöse Begleiterin ist am letzten Tag nicht mehr dabei. Die ganze Sache wird lockerer und beginnt dann doch noch, Spaß zu machen. 

Zumal sich mein Körper auch langsam an die Höhe gewöhnt. Seltsam: Cusco in Peru - in etwa auf gleicher Höhe gelegen - hat mir längst nicht so viel Probleme bereitet. In Lhasa bin ich am ersten Tag ziemlich platt. Mit Mühe und hämmernden Kopfschmerzen schleppe ich mich durchs Programm. Dabei gibt es so viel Spannendes zu sehen. Etwa den Potala-Palast (ehemalige Residenz der Dalai Lamas) oder den 1300 Jahre alten Jokhang-Tempel.

Gerne würde ich noch weiter durch Tibet reisen. Doch weil das Land im März für ausländische Touristen dicht war und ich erst jetzt herein durfte, bleibt nicht genug Zeit. Immerhin: Für einen ersten Einblick hat es gereicht. Und der war beeindruckend, bleibend - und bunt!

Militär und Polizei sind massiv präsent.


WAS SONST NOCH WAR

Ich als Foto-Star.
 Mehr noch als in anderen chinesischen Städten erregen westliche Touristen in Lhasa Aufsehen. Ich habe keine Ahnung, warum das so ist - schließlich bin ich bei weitem nicht der erste und garantiert auch nicht der letzte. Trotzdem sprechen mich viele Tibeter an, probieren ein paar Brocken Englisch an mir aus. Und wenn sie keines sprechen, dann lächeln sie mir einfach zu. Oder bitten mich um ein gemeinsames Foto. Junge Mönche genauso wie alte Frauen. Ich weiß, dass diese Aufmerksamkeit und Freundlichkeit letztlich nicht meiner Person gilt, sondern der Hoffnung auf ein freieres Leben. Ein schönes Gefühl ist es trotzdem!



Gläubige beten am Jokhang-Tempel.


Fortschritt auf Chinesisch. Der ökononische Fortschritt in Tibet hat eine Wurzel allen voran: China. Das Reich der Mitte pumpt eine Menge Geld ins Land. Andernfalls sähe es hier vermutlich noch so aus wie in Nepal - höre ich von einem Tibeter. In der Altstadt von Lhasa ist noch erkennbar, dass das Land bitterarm war. Stellenweise erinnert der Standard an Bolivien. Doch die Chinesen klotzen richtig rein: Die ganze Stadt ist voller Baustellen. Häuser werden gebaut oder renoviert, die Gehwege hergerichtet. Viele Tibeter empfinden das als Fluch und Segen zugleich. Einerseits wissen sie, dass die Investitionen auch ihnen zugute kommen. Andererseits fürchten sie den steigenden chinesischen Einfluss. Ob sich die beiden Völker jemals werden arrangieren können?

Spektakuläre Aussichten bei der Zugfahrt durch Tibet.

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