Samstag, 22. Januar 2011

Singapur: Nichts ist unmöglich

Moderner geht es nicht: Das vor wenigen Monaten eröffnete Hotel Marina Bay Sands mit Pool- und Palmenlandschaft auf dem Dach. Das Gebäude in Form einer Lotusblüte im Bildvordergrund soll nach Fertigstellung ein Museum beherbergen.
Sitzung des Magistrats von Singapur. Der Beigeordnete für Sauberkeit hält einen zähen Vortrag über die Bedrohung der öffentlichen Ordnung durch illegal eingeführtes Kaugummi. Er schließt und gipfelt seine Ausführungen mit der Forderung, speziell dressierte Spürhunde zur Fahndung am Flughafen einzusetzen. Der Bürgermeister reißt sich gewaltsam aus seinem Halbdämmer. Genehmigt! Nächstes Thema!

Jetzt ist der Polizeipräsident als Gastredner dran. Er berichtet über die neu gestartete Plakat-Kampagne: "Wenig Kriminalität meint nicht keine Kriminalität". Zwar gebe es in der Stadt de facto seit Jahren keine vorsätzlichen Straftaten mehr, allenfalls Affekt- und/oder Beziehungstaten. Aber man müsse der Bevölkerung doch demonstrieren, dass man irgendetwas tue. Ob die Stadt Werbeflächen in der U-Bahn dafür bereitstelle? Genehmigt! Nächstes Thema!

Plakat zum Thema Kriminalität.
Doch es gibt keines mehr. Die Tagesordnung ist leer. Es ist alles getan, was in der Macht der Behörden liegt. Jede Ecke Singapurs ist geputzt, alle Häuser renoviert, das Straßennetz saniert - und jedes freie Grundstück mit einer Shopping Mall bebaut. Ergo: Alle Arbeit ist erledigt. Der Bürgermeister beschließt deshalb, dass alle Behörden außer dem dem Sauberkeitsdezernat und dem Polizeipräsidium geschlossen und abgeschafft werden.

Okay, ich war bei dieser Sitzung nicht dabei. Aber sehr viel anders kann es gar nicht gewesen sein. Schließlich kann man im Hinterzimmer der letzten Kaschemme von Chinatown alles auf den Kopf stellen, wird aber kein Staubkorn finden. Häuser, von denen der Putz blättert? In Singapur unbekannt. Schlaglöcher? Ein Fremdwort.

Ein Vermögen beim Einkaufen loswerden kann man freilich schon, wenn man bloß die Straße kreuzt. Die berühmte Einkaufsstraße Orchard Road etwa ist an einer Kreuzung so hergerichtet, dass die Fußgänger nur per Unterführung queren können. Doch die Rolltreppe hinab führt direkt und ohne Unterbrechung ins vierte Tiefgeschoss einer unterirdischen Einkaufs-Mall. Wer wieder heraus will, muss vier einzelne Rolltreppen nach oben nehmen - und die sind natürlich so angeordnet, dass man jeweils eine Ehrenrunde durchs ganze Geschoss nehmen muss, vorbei an diversen attraktiven Sonderangeboten...

Lust auf Currywurst: Guido und ich essen beim Deutschen.
Ich übertreibe? Mag sein. Aber den Singapurern würde das gefallen. Sauberkeit und Modernität geht ihnen über alles. Auf einer Fläche, die gerade drei Mal so groß wie Düsseldorf ist, haben sie in den vergangenen zehn bis 20 Jahren eine der modernsten Städte der Welt hingestellt. Um historische Bausubstanz wurde dabei nicht viel Aufhebens gemacht. Ein paar zentrale Gebäude wurden immerhin stehen gelassen. Und zum Glück auch die drei historischen Viertel Chinatown, Little India und Arab Street. Sie bewahren der Stadt gegen all die Modernität Seele und Gesicht.

Eine Woche lasse ich mich in der Stadt treiben und genieße sie. Nach sieben Monaten in Lateinamerika ist es ein ganz neues Gefühl, nachts überall alleine herumlaufen zu können, in jedes Taxi bedenkenlos einzusteigen. Natürlich weiß ich auch, welcher Preis für die Sicherheit gezahlt wird. Stichwörter: Menschenrechte, Zensur, Todesstrafe.

Doch weil das erklärte Ziel ist, mehr Touristen anzulocken, sind einige gar zu strenge Sitten auch schon gelockert worden. Polizei sieht man selten, dafür inzwischen Fußgänger, die sich trauen, die Straße bei Rot zu überqueren.

Das neue Jahr kommt bald: Chinatown ist voll von Hasen.
Alles in allem hat es mir hier sehr gut gefallen. Und dank meines alten Freundes Guido bin ich jetzt auch wieder auf herzeigbaren Sohlen unterwegs. Der Gute arbeitet in Bangkok, war aber beruflich überraschend in Singapur. Meine ausgelatschten und einst weißen, zuletzt eher bräunlichen Turnschuhe waren ihm derart zuwider, dass er mich in den nächsten Schuhladen zitiert und dann mit einem niegelnagelneuen Paar beschenkt hat. Ich sehe schon fast wieder wie ein zivilisierter Mensch aus...

Zugegeben, der Rest meiner Garderobe müsste nach mehr als acht Monaten auf Tour auch mal ausgetauscht werden. Aber das hebe ich mir fürs billigere Thailand auf. Dorthin mache ich mich morgen auf den Weg. Erste Etappe: per Zug nach Kuala Lumpur in Malaysia. Und so viel weiß ich jetzt schon: Am Bahnhof dort werde ich mir als Erstes einen Kaugummi genehmigen...

Nichts ist unmöglich: Per Seilbahn geht es durchs Hochhaus - und dann weiter zur Vergüngungsinsel Sentosa.

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