Dienstag, 15. Februar 2011

Die deutsche Brille

Willkommen im Ich: Erst in der Fremde merke ich, wie Deutsch ich eigentlich bin. Nie etwa hätte ich für möglich gehalten, dass ich einmal deutsches Essen vermissen würde. Grünkohl, Kasseler, Currywurst, allein bei dem Gedanken läuft mir das Wasser im Munde zusammen. Auch bin ich ganz heiß auf deutsche Zeitungen und Zeitschriften - obwohl ich regelmäßig Tagesschau per Internet sehe. Und auch wenn sich mein Englisch in den vorigen Monaten verbessert hat, so ist es doch nach längerer Zeit immer wieder schön, meine Muttersprache sprechen und mich uneingeschränkt ausdrücken zu können.

Deutsche Zeitungen in Thailand.
Was mich mit anderen Deutschen verbindet - und von ihnen trennt, das fällt mir besonders jetzt in Patong Beach auf, wo ich noch einmal für zwei Tage Station mache, bevor es per Nachtbus weiter nach Bangkok geht. Zwischen dem deutschen Juwelier Gems, der "Erdinger Tankstelle bei Robert" und "Uwe's Travel Agency" ("Deutsche Zuverlässigkeit!") rückt mir das alles wie in einem Brennglas ins Bewusstsein. Und so sehr mich meine Landsleute manchmal auch anwidern mögen: Es gibt doch ein unsichtbares Band, das ich mit Menschen aus anderen Ländern nicht habe.

Es ist die Kenntnis deutscher Kultur, deutscher Werte und deutscher Geschichte. Dabei spielt es keine Rolle, wie man dazu steht. Leidkultur oder Leitkultur? Stolz auf die Heimat oder beschämt über ihre Geschichte? Großartig ordentlich oder grässlich kleinlich? Hartz IV? Über diese Fragen überhaupt nur nachzudenken, macht schon einen Teil des Deutschseins aus. Denn von all dem weiß man auf der anderen Seite der Erde so gut wie gar nichts.

Was aus Deutschland ist den Menschen in Lateinamerika geläufig? Oder in Australien? Oder in Singapur? Da gibt es nur Weniges. Allen voran das Wort "Kindergarten", das überall zum Wortschatz gehört. Dann ein paar Automarken, BMW scheint fast noch präsenter als Daimler oder VW. Andere bekannte Firmen sind DHL, vielleicht noch Siemens. Ansonsten wird Deutschland noch mit Bier assoziiert (obwohl es deutsches Bier gar nicht so oft gibt, belgisches oder mexikanisches ist viel weiter verbreitet) und natürlich mit Fußball - manchmal Beckenbauer, manchmal Schweinsteiger.

Aber dann ist auch schon Schluss, alles darüberhinaus ist Spezialwissen. Kein Wunder, Deutschland spielt in den Medien auf der anderen Seite der Welt keine große Rolle. In Patong finde ich im Blatt "The Nation" (Ausgabe von gestern) immerhin eine Kurz-Nachricht über die Absicht der Regierung, auch Ausländer in der Bundeswehr einzusetzen. Warum ausgerechnet diese Meldung ausgewählt wurde und keine andere? Ich habe nicht die geringste Idee...

Nur eines ist mir bewusster denn je: Ich bin tatsächlich sehr deutsch - im Denken und im Wesen, ob ich es will oder nicht.

Juweliergeschäft in Patong Beach.
Update am 18. Februar: Bin gerade am Flughafen in Bangkok, hatte mich so gefreut, hier endlich mal wieder einen Spiegel kaufen zu können. Die letzten beiden Male sind schon lange her (im Oktober konnte ich für 20 Euro eine Ausgabe in Kolumbien kaufen, im November haben mir Freunde zwei Ausgaben nach Chile mitgebracht - alle habe ich Zeile für Zeile verschlungen). Jetzt die Enttäuschung: Die einzige deutschsprachige Lektüre, die am Airport zu haben ist, sind zwei Wochenblätter für Urlauber und Deutsche, die in Thailand leben.

"Der Farang" titelt mit "Aufschwung am Immobilienmarkt", im Innenteil wirbt die "Fahrenheit a go go"-Bar in Pattaya mit dem Slogan "Kühles Bier, heiße Girls". Boulevardesk die Aufmachung des Tip (Zeitung für Thailand): "Zwangsarbeit in Bangkok. Ukrainer wurde 14 Jahre gefangen gehalten!" Im Innenteil gibt's einen Gerichtsbericht über einen deutschen 65-Jährigen, der wegen Sex mit minderjährigen Prostituierten vor Gericht steht und offenherzig Einblicke in seine Denke gibt. Das ist im wahrsten Sinne des Wortes unheimlich! So erfährt der Leser, dass der Angeklagte "akribisch geführte Tagebücher mit Sexlisten" geführt habe. Auch das ist wohl typisch deutsch...

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